Botschafter Andor Nagy reagierte auf die - in der letzten Zeit vervielfacht - entgleiste Berichterstattung vom Standard. Der Gastkommentar wurde leider nicht vollständig - und auch nicht als Gastkommentar, sondern nur als Leserbrief - veröffentlicht.
Hier können Sie den vollständigen Kommentar (1), den Link zur veröffentlichten Version (2) und zum Schluß den Brief vom Botschafter an Chefredakteur Kotynek (3) lesen.

1. Gastkommentar vom Botschafter Andor Nagy:

"Die Verabschiedung des Coronavirus-Gesetzes in Ungarn hat heftige Kritik in den österreichischen Medien, aber auch im Nationalrat hervorgerufen. Ministerpräsident Viktor Orbán wurde unterstellt, dass er eine Art Diktatur aufbauen und die Coronavirus-Gefahrenlage für den Ausbau seiner Macht missbrauche wolle. Dazu habe er angeblich das Parlament ausgeschaltet.

 

Lassen Sie mich bitte einige Punkte klarstellen:

 

Viktor Orbán schützt seine eigene Bevölkerung gegen die Pandemie und errichtet keine Diktatur.

Es ist traurig, dass zahlreiche Journalisten – nicht nur beim Standard – selbst in dieser, für uns alle sehr schwierigen Situation Ungarn lieber ideologisch motiviert kritisieren, statt einen nüchternen Diskussionsbeitrag zu liefern. Dabei stünden für eine sachliche Diskussion alle Mittel zur Verfügung! Es wäre angebracht, in dieser Diskussion auch einmal die Fakten sprechen zu lassen. Schließlich haben wir eine faire, faktengetreue Behandlung verdient.

 

Was genau ist in Ungarn passiert?

Die Coronavirus-Lage ist in Ungarn seit Beginn der Krise noch immer besser als in Österreich. Die Zahl der Infizierten liegt derzeit bei uns bei 678. Das sind nicht einmal 6 Prozent des österreichischen Wertes. Trotzdem ist sich die Führung des Landes ihrer Verantwortung voll bewusst und bemüht sich, die Bevölkerung vor den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und anderen Folgen der Pandemie zu schützen. Bereits am 11. März verkündete die Regierung die sogenannte „Gefahrensituation“, die laut Verfassung aber nur 15 Tage gültig sein kann. Die Verlängerung der während des Notstandes erlassenen Notregelungen fällt in die Zuständigkeit des Parlaments. Sollte das Parlament wegen der Pandemie nicht mehr entscheidungsfähig sein, dann sind die erlassenen Maßnahmen nichtig. Um genau einer solchen Situation vorzubeugen, hat das Parlament letzte Woche Montag ein entsprechendes, seitdem heftig attackierte Gesetzt verabschiedet.

Coronavirus-Gesetz

Das Gesetz wurde am 30. März 2020 mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet. In den ausländischen Medien wird er immer wieder falsch als „Notstandsgesetz“ oder – noch schlimmer – als „Ermächtigungsgesetz“ bezeichnet. Im Gegensatz dazu, erhielt die Regierung nur die im ungarischen Grundgesetz festgesetzten und international üblichen Sondervollmachten und das auch nur bis zum Ende der Coronavirus-Krise. Orbán hat weniger Kompetenzen als etwa der französische Präsident Macron. Trotzdem wird dieser nicht als Diktator dargestellt. Das Gesetz überträgt der Regierung nur die Befugnis, Notverordnungen zu erlassen, um die Coronavirus-Krise zu bewältigen. Alle anderen Befugnisse des Parlaments werden nicht angetastet. Das Ende dieses Gesetzes bestimmt die Volksvertretung – und nicht etwa die Regierung. Ja, es gibt keine zeitliche Befristung des Gesetzes. Damit befindet es sich aber lediglich im Einklang mit der Coronavirus-Krise, deren Ende derzeit niemand voraussehen kann. Übrigens kann das Verfassungsgericht weiterhin jedes Gesetz und jede Verordnung auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen.

 

Keine Aushöhlung der Demokratie

Da das Parlament weiterhin tagt – auch in der gegenwärtigen Woche gibt es Sitzungen –, kann von einer „Selbstausschaltung des Parlaments“ keine Rede sein. Obwohl es das einzige Ziel des Gesetzes ist, Ungarn möglichst effektiv gegen die tödliche Epidemie zu verteidigen, wird erneut maßlos gegen Ungarn gehetzt. Erneut wird der Ausschluss des Fidesz aus der EVP gefordert, ja sogar Ungarns aus der EU. Obwohl unser Gesetz den europäischen Grundwerten entspricht, haben 13 EU-Mitgliedstaaten die Kommission aufgerufen, es diesbezüglich zu überprüfen. Ungarn wird dabei zwar nicht erwähnt, ist aber offensichtlich gemeint. Im Übrigen hat sich am 4. April auch Ungarn diesen 13 Mitgliedstaaten angeschlossen. Schließlich halten auch wir es für wichtig, dass die gegen die Coronakrise von den einzelnen Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen EU-konform sind. Jetzt ist aber nicht die Zeit für langwierige Diskussionen. Jetzt muss zunächst die Krise bekämpft werden. Jetzt müssen Menschenleben, Arbeitsplätze und die Grundversorgung der Bevölkerung gerettet werden. Erst recht sollte jetzt keine Zeit sein für ideologisch motivierte Debatten.

 

Strafbestand bzgl. Falschnachrichten

Eine weitere Unterstellung ist, dass ungarische Journalisten in Rahmen des Coronavirus-Gesetzes bestraft werden können. Laut einigen ausländischen Medien müssten sie sich jetzt Sorgen machen. Auch dem ist nicht so. Übrigens kennt sogar das Österreichische Strafgesetzbuch bereits seit langem die thematisch verwandten Straftatbestände der Volksverhetzung sowie der Verbreitung falscher Nachrichten bei Wahlen oder Referenden. Auch in anderen EU-Ländern gibt es Gesetze gegen die Verbreitung von falschen Nachrichten. Immer wieder kommt es bei ihrer Anwendung sogar zu einer Kollision mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Genau darum geht es bei uns jedoch nicht. Unser neues Gesetz stellt lediglich eine Sanktionierung der vorsätzlichen Verbreitung von solchen unwahren Nachrichten im Zusammenhang mit der Coronakrise in Aussicht, durch die Menschenleben gefährdet werden können.

Mein Heimatland Ungarn und die Europäische Union brauchen jetzt Zusammenhalt und Solidarität statt ideologisch motivierter Debatten! Heben wir uns das lieber für die Zeit nach der Krise auf!

 

Eine objektive und faktenbasierte Berichterstattung steht in unser aller Interesse. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Wahrheit würde uns allen guttun."

 

2. Der Link zum "Leserbrief" ->

https://www.derstandard.at/story/2000116676853/ungarns-parlament-tagt-und-keine-vernuenftige-opposition

 

3. Brief an Chefredakteur vom Standard

Lieber Chefredakteur Kotynek,
 
Ich danke Ihnen, dass Sie einen Auszug aus meiner Kritik im Standard in der Spalte  „Kommentar der anderen“ am 9. April abgedruckt haben.
 Neben meinen Zeilen schreibt der Kabarettist Florian Scheuba in seiner Kolumne „Financial Distancing jetzt!“ mit viel Humor. Er tut es geschickt und ist sehr kritisch. An kritischer Berichterstattung habe ich nichts auszusetzen.

 
In einem Teil des Kommentars äußert er sich aber auch zur „DNA“ des ungarischen Ministerpräsidenten folgendermaßen: „…denn die DNA Orbáns beruht in erster Linie auf ideologieflexibler Kriminalitätsbereitschaft, Korruption, Betrug, Diebstahl und Zusammenarbeit mit international gesuchten Verbrechern, werden von ihm und seinem Familien-Clan seit Jahren praktiziert.“
 
Ich finde, hier wird eindeutig eine Grenze überschritten. Ich wundere mich, dass eine angesehene Zeitung wie der Standard mit dieser unfassbaren Entgleisung kein Problem hat. Scheuba geht weit unter die Gürtellinie, wenn er einen der führenden Staatsmänner Europas, Vater von fünf Kindern und Großvater von zwei Enkelkindern nicht zum ersten Mal der Kriminalität bezichtigt.
 
Dasselbe tat er in Ihrer Zeitung schon einmal, nämlich am 2. Mai 2018. Seitdem wurden freilich die damals geäußerten Anschuldigungen und Verleumdungen durch keinerlei handfeste Fakten bewiesen. Premier Orbán regiert unser Land weiterhin gestützt auf eine Zweidrittelmehrheit. Er wurde von unseren Bürgern bereits mehrfach in seinem Amt bestätigt.
 
Auch außerhalb Ungarns erfreut er sich einer wachsenden Popularität. Man denke nur an seine Verdienste beim Schutz Europas vor der illegalen Migration. Was 2015 aus dem Munde Orbáns noch als Ketzerei galt, nämlich, dass Grenzen geschützt werden müssen, gehört inzwischen zum Mainstream.
 
Seien Sie also bitte etwas vorsichtiger mit Diffamierungen und Herabwürdigungen! Es wäre vielmehr an der Zeit, sich bei unserem Ministerpräsidenten zu bedanken, statt ihn wieder und wieder mit den immer gleichen Unterstellungen zu bedenken.
 
In Erwartung Ihrer geschätzten Antwort verbleibe ich
 
 
Mit freundlichen Grüßen,
 
Andor Nagy
Botschafter
Botschaft von Ungarn in Wien